Alles würde besser gehen ...

„Alles würde besser gehen, wenn man mehr ginge“

Neben der Eingangstür zum „Landhaus“ hängt der Text „Über das Gehen“. Die Sätze stammen von dem Dichter Johann Gottfried Seume. Er wusste, wovon er sprach, war er doch als 38-Jähriger am 6. Dezember 1801 von Grimma bei Leipzig aus zu Fuß bis nach Sizilien und zurück gewandert. Nach neun Monaten und 6000 Kilometern Fußmarsch kam er wieder zu Hause an. In seinem Buch „Spaziergang nach Syrakus“ berichtet er sehr anschaulich davon (dtv, 416 S.; Insel, 455 S.). Er wollte das Land und das Volk studieren, mit freiem Blick musterte er das menschliche Elend in der paradiesischen Natur des Südens. Die Kunst lockte den scharfen Menschenbeobachter weniger; den katholischen Klerus und den Adel mochte er nicht, für Rom interessierte er sich nicht...Von Seume stammen die Verse: Wo man singet, lass dich ruhig nieder, / ohne Furcht, was man im Lande glaubt; / Wo man singet wird man nicht beraubt: / Bösewichter haben keine Lieder.“

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Kürzlich erregte ein anderer Fußgänger Aufsehen: Der 50-jährige Journalist Wolfgang Büscher, Reporter der „Welt“, ging im Sommer 2001 zu Fuß geradewegs von Berlin nach Moskau, den Weg Napoleons, den Weg, den Büschers Großvater als deutscher Landser zog. Sein Bericht (Berlin-Moskau, Rowohlt, 236 S.) ist faszinierend. Man erfährt unter vielem anderen, wie westlich Polen und wie östlich Russland ist.

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Woher rührt solche abenteuerliche Wanderlust? Die Lust, es wenigstens lesend nachzuerleben? Jedes Jahr im Frühling nehme ich mir Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ vor und berausche mich zumindest an den Anfangskapiteln. Ist das Aussteigen und Herumzigeunern ein typisch neuzeitliches Phänomen? Eichendorff: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“. Heinrich Heine: „Beine hat uns zwei gegeben / Gott der Herr, um fortzustreben, / Wollte nicht, dass an der Scholle / Unsre Menschheit kleben solle“.

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Mehr oder weniger freiwilliger Ortswechsel durchzieht das Erste Testament, - aber es war kein Selbstzweck, sondern meistens durch Not erzwungen. Wunschbild ist die Ruhe eines friedlichen Wohnortes, das Sitzen unterm Weinstock oder Feigenbaum. „Ein Ortswechsel bringt euch Gott nicht näher“, predigte dementsprechend Bischof Gregor von Nyssa im 4.Jahrhundert.

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Jesus war bekanntlich ein Wanderprediger, „der keinen Platz hat, wo er sich hinlegen und ausruhen kann“ (Lk 9,58). Die mittelalterlichen Bettelorden nahmen das wieder auf: evangeliumsgemäße Wanderschaft! Das Mittelalter war keineswegs eine stabil-immobile Gesellschaft: Zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert sollen mehr als dreißig Prozent der jeweiligen Bevölkerung des christlichen Europas einmal oder mehrfach auf Wallfahrt gewesen sein. Im 13. Jahrhundert gab es mehr als zehntausend Wallfahrtsorte in Europa.

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Bäume imponieren uns heute mehr denn je. Sicher braucht der Mensch Wurzeln, Beheimatung, ein Zuhause, einen Standort, Geborgenheit und Sicherheit. Trotzdem gilt: „Bäume haben Wurzeln, ich habe Beine“.

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Denen, die zum „Landhaus am Heinberg“ kommen, wünsche ich, dass sie mit Hoffnung auf Beglückungen hinkommen; dort geruhsam ihre Beine ausstrecken können; von dort aus die wunderbar wanderbare Umgebung unter ihre Füße nehmen mögen; und mit Sehnsucht nach neuen Wegen zu neuen Ufern von dort wieder weggehen.

Dr. Günter Lange, Duisburg

 

 

Zwei Buch-Hinweise:

*Ulrike und Christian Dittmar, Spirituelle Wanderungen. Modelle und Bausteine für Meditationen unter freiem Himmel, Kreuz-Verlag, Stuttgart 2003

*Knut Waldau / Helmut Betz, Berge sind stille Meister. Spirituelle Begleitung beim Weg durchs Gebirge, Kösel-Verlag, München 2003